Literarische Einflüsse

1. Literarische Einflüsse

Lateinische und Neulateinische Dichtung | Martin Opitz | Niederländische Dichtung | Deutsche Geistliche Dichtung

1.1 Lateinische und Neulateinische Dichtung

Der Einfluss der lateinischen Dichtung auf die im 17. Jahrhundert erst entstehende deutschsprachige Lyrik darf nicht unterschätzt werden. In seiner 1629 verfassten lateinischen Poetik gibt Plavius für seine Schüler eine Zusammenschau der lateinischen Poetik: Prosodie, Verslehre und auch eine sehr kurze Gattungsübersicht. Als Autoritäten führt er dabei immer wieder Horaz an, aber auch Vergil, Martial, Iuvenal, Persius, Lucan, Plautus, Terentius und Seneca. Zwar dürfte der gelehrte Magister noch weitaus mehr Autoritäten gekannt haben, aber in dieser Zusammenschau lassen sich auch seine Prioritäten erkennen1.

Es entspricht den Gepflogenheiten der Zeit, dass Plavius keine Positivbeispiele aus der neulateinischen Dichtung anführt. Allerdings fehlen im Gegensatz zu Opitzens Deutscher Poesie auch die Negativbeispiele, wie ein Paul Schede Melissus. Der Einfluss neulateinischer Dichtung kann im Falle Plavius' nicht unterschätzt werden. Gekannt haben dürfte Plavius auch die polnischen Jesuiten Balde, Bauhusius und Sarbiewski. Selbst wenn die Jesuiten in Danzig alles andere als beliebt waren2, so übten sie doch einen spürbaren Einfluss aus. Schließlich ist Plavius Teil des Gelehrtenkreises um die Neulateiner Crüger, Mochinger und Nigrinus. Seine Lehrtätigkeit brachte es mit sich, dass Plavius tagtäglich mit der lateinischen Sprache in Kontakt kam, sich in (neu-)lateinischen Kreisen bewegte. Früchte seiner Beschäftigung damit sind seine Poetik und seine Logik. Auch in den Treu- und den Trawr=gedichten sind immer wieder lateinische Verse eingestreut.

Gegen alle Versuche, direkte Übertragungen vorzunehmen, sperrt sich, wie Conrady in seinem Werk3 gezeigt hat, die "Sprachbarriere": die Unvereinbarkeit der deutschen Syntax mit der lateinischen. Für den Übersetzer wird dadurch Neuformulierung unumgänglich, erschwerend kam für den barocken Übersetzer noch hinzu, dass die Zielsprache, das neue Deutsch, als solche noch gar nicht konsistent war, in ihren Feinheiten, gerade für lyrische Belange, erst noch geschaffen werden musste. Jede Übersetzung bedeutete damit einen sprachkreativen Akt, eine Übung, bei der eine wortwörtliche Übersetzung noch gar nicht in Frage kommen konnte. Übertragen werden konnten am Anfang des 17. Jhdts ins Deutsche meist nur das Motiv oder ein Handlungszusammenhang, auch dann musste die deutsche Sprache erst dafür modelliert werden. Darin liegt die eigentliche Leistung der damaligen deutsch dichtenden Poeten.

Die Verflechtungen der neulateinischen Dichtung mit den Nationalliteraturen wurden trotz einschlägiger Arbeiten immer noch nicht ganz entwirrt. Dies fällt um so schwerer ins Gewicht, als auch die frühen Dichter der Nationalsprachen (Petrarca, Ronsard, Heinsius, Opitz) in ständigem Austausch mit der lateinischen Bildungswelt standen. Die internationale Kommunikation vollzog sich über das Medium der lateinischen Sprache. Die neulateinische Dichtung war den frühen Nationalsprachen zumindest ebenbürtig. Die ständige Präsenz des neulateinischen Humanismus zu ignorieren und nur die dünne Schicht früher nationaler Dichtung zu beschauen bedeutet, nur einen winzigen Aspekt der Zeitkultur in Betracht zu ziehen. Dies kann zu keinem befriedigendem Ergebnis führen. Erschreckenderweise gingen die meisten Literaturhistoriker so vor – nicht nur im Fall von Plavius.

Plavius war allerdings hauptberuflich Lateinlehrer. Seine (für ihn) wichtigsten Werke sind auf Latein geschrieben, haben die lateinische Sprache zum Thema. In seinem Dichtungswerk von 1630 befinden sich wie selbstverständlich eine größere Anzahl lateinischer Verse. Auch das Publikum des Plavius war lateinisch vorgebildet. Ansonsten hätte Plavius wohl kaum so reich aus der griechisch-römischen Mythologie schöpfen können.

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1.2 Martin Opitz

Es ist unbestreitbar, dass Martin Opitz (1597-1639) eine besondere Rolle für die Deutsche Dichtung zukommt. Sein Buch von der Deutschen Poeterey (1624) verfehlte auch in Danzig nicht seine Wirkung. Schon lange bevor Opitz selbst nach Danzig kam, verschaffte es ihm dort viele Bewunderer.

Opitz agierte aber nicht als Begründer oder gar "Erfinder" deutschsprachiger Dichtkunst, sondern als deren Erneuerer. Er stellt sich in seiner Deutschen Poeterey bewusst in poetische Traditionen, eifert dabei sogar deutschen Vorbildern wie einem Ernst Schwabe nach4. Für die Dichter, die ihn zum Vorbild nahmen, war er nicht der unfehlbare Führer, dessen Weisungen man gehorchen musste. Er war ein Vorbild, das man nachahmen konnte, wirkte vor allem als Katalysator: Viele verbesserten ihre Werke nach Opitzens sprachkritischen Vorschlägen, befolgten fleissig seine Lektüreempfehlungen. Wäre es aber dabei geblieben, hätte sich die Erneuerung im Sande verlaufen. Denn das Buch von der Deutschen Poeterey ist als Regelpoetik zu gering an Umfang und Inhalt. Es hat zu wenig Substanz, um darauf allein eine ganze Nationalliteratur aufzubauen.

Opitz war eben nicht der Dogmatiker, zu dem ihn spätere Generationen stilisierten. Sein Verdienst war es, als einer der ersten die Plastizität der deutschen Sprache nachgewiesen zu haben. Er zeigte, dass sich die Volkssprache zu Kunstvollerem formen ließ als zu holprigen Knittelversen. Opitzens Zauberwort dafür hieß Adaption. Aber nicht ihn sollten seine Leser nachahmen, übersetzen und imitieren, sondern die Poeten anderer Nationen, die Italiener, Franzosen und Niederländer, die den Deutschen in Sachen Dichtkunst um Längen voraus waren, die schon viel geleistet hatten. Im Unterschied zu früheren Übersetzern sah Opitz, dass sich Literatur nicht 1:1 übertragen lässt, sondern dass sie der Zielsprache angepasst werden muss. Aber auch die Sprachkritik des Opitz fiel nicht vom Himmel, sie war Teil humanistischer Gelehrsamkeit, hatte sich von den klassischen Bildungssprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) auf die Volkssprachen ausgedehnt.

Alle frühen Dichtersterne waren zugleich und zuerst Erneuerer ihrer Muttersprachen. Opitz steht in einem Prozess, der vom Mittelmeerraum seinen Ausgang nahm und über Frankreich und die Niederlande nun auch in Deutschland wirksam wurde. Nicht zufällig ist eines der ersten deutschsprachigen Gedichte von Opitz ein Geburtstagsgedicht auf den Sohn von Tobias Scultetus, dessen Beuthener Bibliothek eine große Anzahl von Niederländischen Werken enthielt, unter Anderem die Nederduytschen Poemata des Heinsius. Daniel Heinsius wiederum war einer der Reformatoren der niederländischen Sprache. Opitz war dies bewusst, er schreibt selbst, Heinsius habe "vnsre Muttersprach in jhren werth gebracht"5. Die Korrespondenz, die Opitz und Heinsius ab 1619 führten, ebenso wie die vielen Übersetzungen, die Opitz aus dem Niederländischen vornahm, unterstreichen dieses Urteil. Doch Opitz begnügte sich nicht mit den Niederländern. Er griff auch andere Traditionen auf, z. B. die der französischen Plejade, allem voran vertreten durch Pierre de Ronsard. Opitz kannte natürlich auch Petrarca und andere italienische Dichter.

Mit seiner Poetik zeigte Opitz, wie man durch angemessene Adaption, durch Nachahmung fremder Literaturen, die eigene Volkssprache voran bringen konnte. Er lieferte abstrakte Handlungsanweisungen, die sich anpassen und übertragen ließen. Diese Empfehlung zeitigte Erfolg, nicht nur bei Plavius: Man suchte sich geeignete Vorbilder und verarbeitete sie. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine neue deutsche Dichtung. Der Einfluss des Opitz als Dichter war bis zum Ende er 1630er Jahre noch viel geringer als der seiner Vorbilder. Daher ist es wichtig, diese fremdsprachigen Vorbilder ins Visier zu nehmen und gegebenenfalls mit der Rezeption durch Opitz zu vergleichen.

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1.3 Niederländische Dichtung: Heinsius, Cats, Starter

Man kann die Niederländische Dichtung des "Goldenen Zeitalters" ohne Skrupel als die Hebamme des deutschen Literaturbarock bezeichnen. Was Opitz und seine Freunde in Deutschland leisteten, wäre nicht denkbar ohne die Vorarbeiten der Niederländer. Insbesondere der "Gentsche Schwan"6, Daniel Heinsius (1580-1655), wurde zum Zentrum einer literarischen Erneuerung, die bis nach Königsberg, Wittenberg und Straßburg reichte. Sein Briefwechsel wird auf 70.000 Briefe geschätzt7. Mit ihm stand fast alles in Kontakt, was in Gelehrsamkeit seinerzeit einen Namen hatte. Doch Heinsius war nicht der einzige Stern der Niederlande. Gelehrte wie Janus Dousa (1545-104), Hugo Grotius und Joseph Scaliger (1540-1609), aber auch Dichter wie Jost van den Vondel (1587-1679), Jacob Cats (1577-1660) oder Pieter Cornelizon Hooft (1581-1647) genossen europäischen Ruhm.

Ermöglicht wurde die literarische Blüte der Niederlande durch materiellen Wohlstand auf der Basis von Handel, eine funktionierende Infrastruktur, politische und konfessionelle Freiheit8. Mit Leiden (1575), Franeker (1585), Groningen (1614), Utrecht (1634) und Harderwijk in Gelderland (1648) schossen neue Universitäten geradezu aus dem Boden. Daneben gab es in Amsterdam, Breda, Deventer und Middelburg Akademische Gymnasien, die den Universitäten kaum nachstanden. Diese Bildungszentren waren vor allem auch für deutsche Studenten und Gelehrte attraktiv. Von 1575-1750 haben sich allein in Leiden rund 11000 deutsche Studenten immatrikuliert9. Gleichzeitig waren die Niederlande ein beliebtes Reiseziel, wozu sicher auch die gute Infrastruktur beitrug. Die Absolventen wiederum halfen mit, Gedankengut aus den Niederlanden im ganzen Reich zu verbreiten.

Für Plavius, aber auch die Danziger Dichtung vor Opitzens Eintreffen ist der direkte Einfluss aus den Niederlanden nicht zu unterschätzen. Danzig war eine Handelsstadt, die Niederlande waren ein beliebter Handelspartner. Die Niederlande hatten auch den Vorteil, dass sie dem Danziger Bürgertum in theologisch-politischen Belangen näher standen als beispielsweise die katholische Monarchie Frankreich10. Niederländische Werke erreichten über den Seeweg Danzig meist schneller als deutsche Werke über den Landweg. Umgekehrt ließen nicht wenige Danziger ihre Werke in den Niederlanden drucken.

Sicher genoß Daniel Heinsius in Deutschland die größte Bekanntheit. Opitz hatten ihn in seiner Poetik angepriesen. Seine Nederduytschen Poemata (Amsterdam, 1616) und die Sammlung Bloem-Hof (Amsterdam, 1608 und 1610) dürften auch vorher schon in Danzig bekannt gewesen sein. Plavius erwähnt Heinsius als "Gent'schen Schwan" in einem seiner Treugedichte. Dass der niederländischen Literatur unabhängig von Opitz eine eigene Rolle zukommt, zeigt sich daran, dass Plavius noch auf weitere Niederländische Quellen zurückgriff – auch auf solche, die der Klassizist Opitz bewusst mied, beispielsweise auf Jan Jantzen Starter (1593?-1626), einen schillernden Poeten11, der selbst aus England stammte, und die Niederländische Literatur mit Elisabethanischen Melodien und Metren bereicherte. Plavius bedient sich oft aus dessen Frieschen Lust-Hof (Amsterdam, 1621). Auf ganz andere Art und Weise wirkte Jacob Cats (1577-1660) auf Plavius. Sein Einfluss wird vornehmlich in dessen Tugendlehre, also besonders in den Lehrsonnetten spürbar. Plavius übernahm viele Motive von Cats, bzw. aus dessen Freundeskreis, wie er in der Zeevschen Nachtegael (Middelburg, 1623) in Erscheinung tritt. Hierzu zählt auch Simon Van Beaumont, der scheinbar mit Plavius in Kontakt stand.

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1.4 Deutsche Geistliche Dichtung

Im Danzig des 17. Jahrhunderts war die Theologie ständig präsent. Sie prägte das Schulwesen, einen Großteil des öffentlichen Diskurses und wirkte selbst auf die Lokalpolitik. Zwar kam es nicht zu offenen Kämpfen, aber mit den Waffen des Wortes wurden heftige Dispute geführt.

Gerade in der Wirkungszeit des Plavius drohte der Konflikt zu eskalieren. Seit Beginn des Jahrhunderts hatten die Lutheraner verstärkt Druck auf Kalvinisten und Reformierte ausgeübt, die Jesuiten hatten mit Unterstützung durch den polnischen König immerhin schon in Danziger Vororten Einzug gehalten und erhielten zum Leidwesen der Protestanten reichlich Zulauf von der ansässigen Bevölkerung12.

An einigen Schulen fand ein offener Machtkampf um die Bildungspolitik statt13. Ob man nun wie Sartor und Raschke Plavius mitten in diese Kämpfe lokalisieren will oder nicht, dem theologischen Disput kam in Danzig jedenfalls ein ungemein großer Stellenwert zu, er war allgegenwärtig, zeigt sich selbst in Epithalamien. In einer Zeit der Konfessionskriege war Konfessionalität alltäglich. Dies zeigt sich auch an den Massen von Predigtliteratur und theologischen Traktaten, die bei den Danziger Druckern verlegt wurden. Der Großteil davon war Fachliteratur, überwiegend in lateinischer Sprache. Allerdings brachte man in Danzig auch eine größere Menge deutschsprachiger geistlicher Dichtung heraus, unter anderem mehrere Kirchengesangsbücher14.

Zumindest, was die Motive betrifft, ist der Einfluss geistlicher Dichtung auf die Lyrik des Plavius deutlich sichtbar. Besonders die Lehrsonnette, aber auch die Trawr=gedichte enthalten theologische Motive, wie sie sich auch in zeitgenössischen Kirchenliedern, Katechismen oder Predigten wiederfinden. Mittelbar wird der Einfluss der Lutherbibel spürbar.

Natürlich besteht zur Zeit des Plavius noch ein deutlicher Bruch zwischen der postreformatorischen Literatur und der Dichtungssprache eines Opitz. Eine Synthese zwischen beidem war 1630 erst im Gange. Auch hier steht Plavius am Anfang, besonders was seine Lehrsonnette betrifft. Wieder könnten ihm fremdsprachige Vorbilder geholfen haben, beispielsweise die moralische Dichtung eines Jakob Cats, oder die eines Simon Van Beaumont15. Wenn, wie es scheint, die Lehrsonnette das jüngste Werk von Plavius sind, kann man durchaus annehmen, dass der Dichter damals schon geübt genug war, um eine solche Übertragung selbst durchzuführen. Die Danziger Gedichtausgabe >>


1Plavius führt jedenfalls nicht nur die Vertreter der "goldenen Latinität" an, sondern auch solche der "silbernen Latinität" Anders als viele Gelehrte war er also kein Verfechter des Klassizismus.

2Die Toleranz der Danziger Stadtväter reichte wohl nicht bis zu den Jesuiten. Matthias Casimir Sarbiewski musste seine berühmte Lyriksammlung, die ebenfalls 1630 erschien, in Antwerpen drucken lassen.

3Conrady, Karl Otto, Lateinische Dichtungstradition und Deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, Bonn 1962 (Bonner Arbeiten zur Deutschen Literatur, 4).

4Zumindest will er diesen Eindruck erwecken.

5Opitz, Deutsche Poemata, S. 25, zitiert nach Bornemann, S. 20.

6Vgl. Plavius, Treugedichte S. 77.

7Vgl. Bornemann, S. 31.

8Die Vorraussetzungen der freien Stadt Danzig waren denen in den Niederlanden nicht unähnlich.

9Ebd., S. 13.

10Dafür schätzten sich Polen und Franzosen um so mehr. Vgl. Mannak, S. 294.

11Starter führte ein so unstetes Leben, wie man es von einem handfesten Petrarkisten erwartet. Vgl. Starter, S.9-11.

12Vgl. Rankl, S. 134, Anm. 18.

13Infolge dieses Machkampfes wurden Mochinger und Moeresius zu Professoren an ihren jeweiligen Schulen berufen. Vgl. Stekelenburg, S. 62.

14Eine Zusammenschau über die Danziger Gesangsbücher des 17. Jh. findet sich in: Kessler, Franz, Danziger Gesangbücher: 1585-1793, Lüneburg 1998.

15Da Beaumont häufiger auf die Gattung Sonett zurückgreift als seine Landsleute, wäre es fruchtbar, sein Gesamtwerk zu untersuchen. Formale Ähnlichkeiten mit den Lehrsonnetten weisen auch die Sonette aus den Over-IJsselsche Sangen en Dichten des Jacobus Revius auf. Das sie jedoch 1630, also zeitgleich erschienen, ist eine literarische Beziehung auszuschliessen.