Beurteilung des Werkes

1. Beurteilung des Werkes

Plavius versus Opitz | Plavius in der Rezeption: Gryphius, Homburg, Harsdörrfer

1.1 Plavius versus Opitz?

Sein eigenwilliger Sprachstil und seine vielfachen Verstöße gegen die Opitz'schen Empfehlungen haben schon viele dazu veranlasst, Plavius in Opposition zu Opitz zu stellen. Dies schien um so nötiger, da Opitz ab 1635 in Danzig weilte und einen eigenen Dichterkreis um sich scharte. Über die Beziehung zwischen den beiden, sofern sie sich überhaupt persönlich kannten, wissen wir aber nichts. Die einzige direkte Verbindung zwischen beiden ist jener Brief des Danziger Gymnasialprofessors Johannes Mochinger an Opitz, datiert auf den 10. September 1629, in dem Mochinger Plavius wie folgt erwähnt:

"(...) quem hic habees in hac Urbe eruditionis Tuae aestimatorem & imitatorem, Plavium quendam, de quo velim audis narrantem D. Rittershusium"1

Man hat diese Stelle bislang kontrovers gedeutet: Die ältere Forschung, beispielsweise Victor Manheimer, ordnete Plavius damit in den Opitz-Kreis ein. Sartor und Kindermann relativierten dagegen die Bedeutung von Mochingers Beschreibung. Sicherlich darf man die genannte Stelle nicht allzu wörtlich auffassen. Schließlich handelt es sich um einen freundlichen Brief zwischen den gelehrten Herren Mochinger und Opitz, in welchem ersterer dem letzteren seine Hochachtung erweist. Daher streicht Mochinger die poetischen Erfolge des Opitz heraus - gerade in seiner Heimatstadt Danzig. Opitzens Werke waren tatsächlich bereits 1624 und 1629 in der Ostseemetropole erschienen.

Bei einem Vergleich unterschiedlicher Versionen seiner Gedichte lässt sich nachweisen, dass Plavius einige seiner früheren Werke - wie so viele andere Zeitgenossen auch - den Empfehlungen des Opitz anglich2. Die Begeisterung und der poetische Schub, der von Opitzens Reformvorschlägen ausging, haben sicherlich auch Plavius erfasst - zumal Plavius aufgrund seines thüringischen Akzents ohnehin mit gewissen Sprachproblemen zu kämpfen hatte und daher sicherlich für jede Schützenhilfe dankbar war.

Dies alles macht Plavius keineswegs schon zu einem Mitglied des Opitz-Kreises. Denn abgesehen von seiner poetischen Reform konnte Opitz dem Danziger "Star-Dichter" nicht viel bieten. Auf seinem eigenen Terrain, der deutschsprachigen Epithalamiendichtung, war Plavius dem Opitz anno 1629, erst recht noch davor, an Ruhm und Berühmtheit weit überlegen. Opitz befasste sich erst relativ spät mit dieser Gattung, als der Glanz des Plavius bereits erloschen war. Anders sieht es bei Epitaphen (besonders Oden) und Sonetten aus. Hier hat sich Plavius dankbar an Opitz orientiert.

Auszuschließen ist ein eigener Dichterkreis um Plavius, wie ihn Kindermann postulierte. Wollte man einen solchen annehmen, so würde er unter dem frappierenden Mangel an Mitgliedern leiden. Ausser Plavius selbst ließe sich dem Kreis in dessen Wirkungszeit kein heute bekannter Dichter zuordnen. Gryphius und Hofmannswaldau weilten Jahre nach 1630 in Danzig, erst recht Grefflinger. Der Gelehrte Johannes Mochinger war nicht als deutschsprachiger Dichter tätig, außerdem ein Freund von Opitz. Nicht einmal der sogenannte "Schwager" Moeresius war ein Jünger von Plavius; denn Moeresius war, nach allem was wir über ihn wissen, Mitglied des Kreises um Peter Titz, einem eifrigen Verfechter des Opitzianismus. Einzig und allein Michael Albinus lässt sich zweifelsfrei mit Plavius in persönliche wie poetische Verbindung bringen. Aber auch das Werk des Albinus fällt eigentlich erst in eine Zeit nach dem mysteriösen Verschwinden seines Lehrers, bei dem er nach eigenen Angaben 1628/29 seine "Institutio" bezog. Der einzige Danziger Dichter, der Plavius gekannt haben könnte, und auch von seinem Stil her mit ihm übereinstimmt, ist Jakob Zetzkius (1603-1671)3.

Plavius selbst war als historische Person höchstwahrscheinlich weder Mitglied, noch Feindbild des Danziger Kreises um Opitz, da er nach 1630 zunächst überhaupt nicht mehr genannt wird - weder in positiver noch in negativer Form; vermutlich war er zu dieser Zeit bereits aus dem Danziger Literaturgeschehen verschwunden. Wie und warum wissen wir nicht.

Was bleibt, ist auf die rein formelle, literarische Opposition der Dichtung eines Plavius zum Regelwerk von Opitz hinzuweisen. Hier wären sicherlich die vielen Binnenreime zu nennen, die mehrgliedrigen Reime oder auch die Epithalamien, die sich verbotener Metren bedienen. Ob es sich dabei jeweils um einen bewussten Akt des Plavius handelt, um sich von Opitz abzusetzen, oder ob man die Eigenheiten nicht vielleicht besser dem stark ausgeprägten Individualstil von Plavius zurechnen sollte, lässt sich ohne weitere Quellen kaum entscheiden. Die Notiz Mochingers an Opitz deutet auf einen Poeten hin, der unverkennbar seinen eigenen Stil hat, wenn er sich auch redlich bemüht, Opitz nachzueifern. Sie deutet nicht im Geringsten auf den Führer einer oppositionellen Dichtergesellschaft hin.

Das würde auch dem Streben nach Frieden, Toleranz und Ausgeglichenheit widersprechen, Punkte, die Plavius in allen seinen Werken immer wieder zum Ausdruck bringt. Wenn man die lyrische Aussage und die Intention des Autors auch vorsichtig trennen muss, so mäßigt doch intern in seinen Werken die thematische Aussage stets die Form. Umgekehrt hellt der spielerische Umgang mit der Sprache die dunklen Themenbereiche in den Werken des Plavius auf. Selbst manche Trawr=gedichte werden spielerisch sinnig. Die Tendenz zur "Verernstigung", die viele der folgenden deutschen Poeten erfasste, hält sich bei Plavius in Grenzen: Seine Trawr=gedichte erfassen den Ernst des Todes, ohne sich von ihm in die Tiefe reißen zu lassen; immer finden sich Elemente, welche die Düsternis wieder aufhellen.

Letztlich darf man Plavius nicht als Rhetoriker unterschätzen. Die meisten Eigenheiten lassen sich durch rhetorische Lizenzen erklären und damit entschuldigen: Entweder als ‚attemptum parare‘ zur Erlangung der Aufmerksamkeit, oder, bei den mehrsilbigen Reimen und Binnenreimen, häufig als Teil eines sinnigen Wortspiels oder als sprachliche Umsetzung des jeweiligen bedeutungsmäßigen Inhalts (so z. B. der unreine Reim im 49. Lehrsonett: "Wer hört soviel, dass er sich nicht verhört?"). Der kontrapunktische Sprachstil mag dem Wunsch entsprungen sein, nicht in extreme Gefühlswirkungen zu verfallen, was nach rhetorischer Lehre dem Stilus des ‚docere‘ widersprechen würde (nicht aber dem ‚delectare‘, wie man den Treugedichten ansieht).

In Bezug auf die "abenteuerlichen" Metren und Formen, die sich in den Treugedichten finden, ist zu berücksichtigen, dass Plavius auf Melodien gedichtet hat, auf Vorlagen, die schon bestanden, sich anderswo bereits bewährt hatten, die ihm vielleicht sogar von seinen Auftraggebern zur Vertextung angetragen wurden. Anders als Opitz verstand es Plavius, seine Sprache der Musik und dem Rhythmus anzuschmiegen. Diesmal war es nicht Plavius, sondern Opitz, welchem sein Dialekt zu schaffen machte. Denn nicht Plavius, sondern Opitz irrte sich, wenn er meinte, es gebe im deutschen keine dreisilbigen Metren, eben weil er die Wortdaktylen seiner eigenen Gedichte aufgrund dialektaler Eigenheiten nicht wahrnehmen konnte.

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1.2 Plavius in der Rezeption

Das Dichtungsgut des Plavius hat seine Wirkung nicht verfehlt. Er war weit über Danzig bekannt, wenn auch seine Beliebtheit schnell in Verachtung umschlug. Dennoch wurde Plavius bis ins 18. Jhdt. immer wieder von illustren Persönlichkeiten erwähnt. Georg Philipp Harrsdörffer zitiert ihn mehrmals in seinen Frauenzimmer-Gesprächspielen (1641), Wencel Scherffer von Scherffenstein führt ihn im 10. Buch seiner Geist- und Weltlichen Gedichte/Erster Teil (1652) auf. Philipp von Zesen übernahm von Plavius die sapphische Ode und zitiert ihn als "Hans Plaue" in seiner deutsch-lateinischen Leiter zum hoch-deutschen Helikon (1656)4. Andreas Tscherning verwendet Plavius als Beispiel in Unvorgreiffliche Bedenken über etliche mißbräuche in der deutschen Schreib- und Sprach-kunst (1659). Seit Gottfried Wilhelm Sacer (Nützliche Erinnerungen wegen der deutschen Poeterey, 1661), und Erdmann Neumeister (De poëtis Germanicis, 1695) nimmt die Negativkritik überhand. Spätere Literaten, wie Rottman in seinen Lustigen Poeten, haben dieses Urteil zementiert. Vom gefeierten Festzeitdichter sank Plavius im literarischen Ansehen schließlich auf das Niveau einer Schimpffigur. Man zitierte ihn noch fleissig, aber nur, um zu zeigen, wie man es nicht macht. Erst Ende des 19. Jhdts. wurde Plavius rehabilitiert, allerdings nur von den Literaturwissenschaftlern, und teilweise aus deutschtümelnden Erwägungen heraus.

Plavius und Gryphius

Den späteren Literaturbarock hat Plavius aber spürbar beeinflusst. Umstritten ist, inwiefern Plavius auf Andreas Gryphius (1616-1664) gewirkt hat. Frühere Autoren nahmen oft einen direkten Einfluss von Plavius auf Gryphius an. Diese Beziehung wurde bisweilen gar als Beweis angeführt, dass Plavius aushilfsweise am Danziger Gymnasium Akademikum unterrichtete, was aus betreffenden Urkunden jedoch nicht zu entnehmen ist. Neuere Autoren betonen die Eigenständigkeit des jungen Gryphius5.

Die These, Gryphius habe Plavius gar nicht gekannt, lässt sich jedoch nicht mehr länger aufrecht erhalten, denn wie H.-H. Krummacher aufzeigte, erwähnt Gryphius den Danziger Magister an einer Stelle explizit6:

"Mit kurtzem Plavius hat von diesem in einem Gedichte mit wenig veränderten folgenden Worten die lautere Warheit geschrieben
Wie ein Schiff auff Meeres wogen
Wann die Wind aus Norden stehen
Und die Wellen höher gehen
Als zuvor die Segel flogen
Wann das Wasser schaumt und braust
Wenn der Mastbaum knackt und saust /
Wann man Glaß und Ruder misset,
Wann man den Compaß vergisset
Wenn der Schiffer beten heist
Wann man betend Zetter schreyet
Wann das Schiff mit Sincken dreuet
Wann die Flutt den Mast befleust.
Also ist diß schwache Leben
Da sich mancher allzu fest
In der Schwachheit auff verläßt
Die auff wildem Meere schweben
Trauren durch die tolle Flutt
Fort zubringen Gutt und blutt."

Diese Stelle findet sich in Gryphius' "Letzten Ehren-Gedächtnuß" von 1660. Gryphius zitiert hier wörtlich aus Plavius' Trauergedicht auf Jacob Schachmann (Trawr=gedichte, Nr. 6). Er unterlässt es dabei jedoch, die Gliederung der Pindarische Odenform anzugeben, ausserdem lässt er die letzten sechs Verse der Antistrophe weg. Dies kann man als Korrektur deuten: Gryphius übernimmt von Plavius, was auch seinem eigenen Dichtungskonzept entspricht, während er stilistische Eigentümlichkeiten, wie allzu konkrete Beispiele ("Auf eim brete daumen dicke"), oder diverse Binnenreimspielereien wie

stillschweigend übergeht7. Gryphius rezipiert Plavius, aber kritisch, und das nicht ohne Grund. Tatsächlich gibt es gravierende Unterschiede in den Ansätzen der beiden Poeten: Plavius ergötzt sich in Sprachspielereien, selbst da, wo er ernsthaft ist. Jede gedankliche Finsternis wird durch Wortspielereien wieder aufgehellt, gleich ob es sich um Epitaphe handelt, oder um Lehr=Sonnete. Melancholie verabscheut Plavius. Indem er Inhalt und Form entgegensetzt, verstösst Plavius allerdings immer wieder gegen die rhetorischen Vorschriften: Mal führt er geradezu einen "Totentanz" auf, mal moralisiert er in Brautgedichten, in allen drei Teilen seines Werkes wird er manchmal derb oder neigt zur bitterer Ironie. Seine Moral vermittelt er in Sonetten, einer Gattung, die in Deutschland zu jener Zeit noch weitgehend der Liebesdichtung vorbehalten war.

Gryphius verbittet sich solche Possen. Er spielt nicht mit der Sprache, er möchte ernste und gewichtige Sachverhalte würdig verdeutlichen. Wenn beide Dichter die gleichen Stilmittel verwenden, so tun sie das mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen: Gryphius verwendet Anapher, Reihungen und Wiederholungen, um den Ernst mit aller sprachlichen Gewalt zu verdeutlichen, sein Anliegen zu verdringlichen. Dabei kann er aus Plavius‘ Dichtung durchaus Anregungen ziehen, denn auch Plavius verdeutlicht auf diese Art und Weise.

Doch Plavius führt nicht selten gezielte Übertreibungen durch, und relativiert durch übermäßige Häufung das einzelne Wort8. Damit will er das Gesagte nicht ad absurdum führen, sondern inhaltlich mäßigen. Bei allem Ernst und aller Traurigkeit verhindert er damit, sein Publikum durch allzu dramatische Zuspitzung zu schockieren. Inhaltliche Tiefen fängt er mit sprachspielerischer Gewandtheit und musikalischen Feingefühl auf - notfalls unter Missachtung von poetischen oder rhetorischen Normen. Gryphius kann solche Stilverstöße aber nicht akzeptieren, daher kaum ein Gedicht von Plavius als Ganzes übernehmen. Eine Generation nach Plavius hatte sich die Situation ohnehin geändert: das Sonett war "verernstlicht", so dass man den Lehrsonnetten den Gegensatz von Gattung und Inhalt nicht mehr ansah. Plavius erschien nicht mehr originell, sondern als skurril.

Wenn sich Gryphius von Plavius anregen ließ, so konnte er das nur mit kritischer Distanz tun. Unter diesem Aspekt müsste man das Verhältnis Plavius-Gryphius neu untersuchen. Denn dass ein Verhältnis zwischen beiden bestand, lässt sich wohl nicht leugnen. Dieses im Einzelnen nachzuweisen kann aber nur unter erheblichem Materialaufwand vorgenommen werden, wie Krummacher richtig feststellte9.

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Ernst Christoph Homburg

Ernst Christoph Homburg (1605-1681) ist ein besonders fruchtbares Beispiel für Plavius-Rezeption. Interessant ist er, weil er nicht nur auf Plavius, sondern meist zugleich auch auf dessen Vorbilder zurückgreift. Er übernimmt nicht einfach Motive von einer Quelle, sondern wählt bewusst aus. Homburg kannte Cats, Starter, Heinsius und Beaumont. Er kannte die Nederduytschen Poemata, den Bloem-Hof, den Frieschen Lust-Hof und die Zeevsche Nachtegael10.

Die bislang umfangreichste Arbeit zu Homburg bzw. zu seinen Quellen und Vorbildern ist die von Max Crone. Da sich Crone nicht darauf beschränkt, Homburgs Werke zu fokussieren, sondern komparativ vorgeht, ist seine Arbeit auch bezüglich anderer Dichter aufschlussreich. Schon Sartor hat auf Crone in seiner Plavius-Dissertation zurückgegriffen, erkannte aber wohl nicht dessen ganze Bedeutung: Crone war der erste und für gut 60 Jahre auch der einzige, der die intertextuellen Bezüge der Treugedichte deutlich herausstellte. Erst in den 70er Jahren knüpfte Bornemann wieder daran an.

Einer der fruchtbarsten Vergleiche in Crones Dissertation ist die Gegenüberstellung dreier Epithalamien von Cats, Plavius und Homburg. Beim entsprechenden Treugedicht des Plavius handelt es sich um "Der blinde Cupido" (Treugedichte Nr. 23), bei Homburg um das "Ehren-Gedichte Auff den Hochzeitlichen Frewden Tag Herrn N. N. zu sonderbaren Ehren verfertiget" (Clio1 B8a, Clio2 C7a)11.

Während Cats in seinem Epithalamium schildert, wie die Geliebte nicht sein soll, drehen Plavius und Homburg den Spieß um und reihen auf, wie der Bräutigam nicht sein soll. Dass Homburg sowohl Cats als auch Plavius gekannt und als Vorlagen verwendet hat, zeigt Crone, indem er zunächst die Stellen aufführt, die allen dreien gemeinsam sind:

Cats: Niet al te kort, niet al te lanck,
Niet al te dick, niet al te ranck.
Plavius: Nicht zu kurtz, auch nicht zu lang,
Nicht zu dick, vnd nicht zu schlang.
Homb.: Nicht zu kurtz, auch nicht zu lang
...
Nicht zu dick, auch nicht zu schlang.12

Nach einem Vergleich der Stellen, die nur Cats und Homburg gemeinsam haben, fährt Crone damit fort, die Stellen zu vergleichen, die Cats und Plavius gemeinsam sind. Am interessantesten sind jedoch die zahlreichen Gemeinsamkeiten von Plavius und Homburg:

Plavius: Nicht zu jung, vnd nicht zu alt.
Homb.: Nicht zu jung, auch nicht zu ältlich.
Plavius: Nicht ein buhler, nicht ein läuffer,
Nicht ein spieler, nicht ein säuffer.
Homb.: Nicht ein Spieler, nicht ein Säuffer,
...
Nicht ein Wiltfang, nicht ein Läuffer.
Plavius: Nicht Calvinisch, nicht Catholisch,
Nicht zu wild, nicht melancholisch.
Homb.: Nicht Calvinisch, nicht Catholisch,
Nicht zu toll, nicht melancholisch.
Plavius: Nicht zu herrisch, nicht ein bawr.
Homb.: Nicht ein Juncker, nicht ein Bawr.
Plavius: Nicht zu eifrig, nicht zu linde,
Nicht zu langsam nicht zuschwinde,
Nicht zu milde nicht zu karg,
Nichtzu gut, auch nicht zu arg,
Nicht zu lässig, nicht zu beissig,
Nicht zu faul, auch nicht zu fleissig.
Homb.: Nicht zu Ripsraps vnd geschwinde,
Nicht zu härtlich, nicht gelinde.
...
Nicht zu karg, auch nicht zu mild.
...
Nicht zu from, auch nicht zu arg.
...
Nicht zu faul, auch nicht zu fleissig,
...
Nicht zu sittsam, nicht zu beissig. -13

Plavius und Homburg bauen die Reihen, die Cats vorgegeben hat, ins Absurde aus. Schon durch die Rollenspiegelung - es sind nun Jungfrauen, welche die Forderungen stellen - wirkt die Aufzählung komisch. Da sie offensichtlich nicht ernst gemeint ist, sollte man nicht naiv versuchen, einen Tugenkatalog daraus abzuleiten. Trotzdem wurde dies gerade bei Plavius immer wieder getan, beispielsweise um Plavius zum Lutheraner zu deklarieren ("Nicht Calvinisch, nicht Catholisch").

Nicht bestritten werden soll damit, dass sowohl Plavius wie auch Homburg das Vorbild von Cats an ihre lokalen Bedürfnisse angeglichen haben. Plavius tut dies aber auf eine spielerisch-ironische Weise, und Homburg ist ihm darin gefolgt. Bei keinem von beiden handelt es sich gar um eine Apologie gegen Kalvinisten, Katholiken, Melancholiker, Adlige, Bauern oder Übergewichtige. Statt dessen soll die Kritiksucht der Jungfrauen lächerlich gemacht werden. Zeitgenössische Kritikpunkte werden dabei aufgezählt, damit aber nicht automatisch legitimiert, sondern eher kritisiert.

Im Gegensatz zu Gryphius zeigt Homburg keinerlei Skrupel, "Stilblüten" von Plavius mit zu übernehmen. Mit Neologismen wie "Ripsraps" oder eigentümlich verformten Adjektiven wie "ältlich" oder "härtlich" setzt er sogar noch eins drauf. Bisweilen variiert Homburg selbst da das Metrum, wo Plavius noch "klassisch" war:

Plavius: Nicht zu jung, vnd nicht zu alt.
Homb.: Nicht zu jung, auch nicht zu ältlich.

Was Metren und Formen angeht, zeigt sich Homburg insgesamt jedoch sehr orthodox. Möglicherweise verfügte er nicht über die Musikalität seiner Vorbilder. Daktylen übernimmt er jedenfalls nicht, selbst dort nicht, wo alle Vorlagen solche vorweisen14. Möglicherweise sah Homburg auch, dass Starter, Beaumont und Plavius gegen die Mehrzahl seiner anderen Vorbilder kein Gewicht hatten.

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Georg Philipp Harsdörffer

Doch es gab auch Poeten, die Sprachspielereien schätzten. Dazu gehörte Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658). In seinen Frauenzimmergesprächspielen zitiert er mehrmals Plavius15, so beispielsweise in Bd. II, Kapitel LXXXV:

(Lernen:)

v - v - v - v - v - v -

8. Das Lernen ohne Lust / ist eine läre Last /
R. Dann Lehre wird durch Geist und Lieb ein lieber Gast.
C. Doch wird die List und Lust / nicht ohne Last gefasst.
D. Wie ist dann solcher Lust / und Liebe Last verhasst?
J. Das macht es / dass man lehrt die Lehr mit Uberlast /
V. Es ligt in solchem Stall / manch Laster in der Mast.

(Tugend:)

v - v - v - v - v - v - v

9. A. Was hat die Jugend doch / von Tugend zu erwarten /
R. Was von der Zeit der May / was vom dem May ein Garten.
C. Das / was das Gartenwerck von Zier der Blümelein.
D. Das / was der Blumenruch eim Krancken möchte seyn.
J. Gleich wie der Kräutlein Safft den Krancken pflegt zu laben;
V. So frischen das Gemüt der Tugend süsse Gaben.16

Harsdörffer ist nicht daran gelegen, Plavius wortgetreu zu zitieren. Vielmehr verwertet er Verse aus den Treugedichten des Plavius für seine eigenen Sprachspiele. Harsdörfer weist darauf in einer Bemerkung der folgenden Seiten darauf hin: "Aus Joh. Plavii traugedichten geendert."17 Neben "Lernen:" und "Tugend:" zitiert Harsdörffer auch noch aus dem Epithalamium Auff hn. Benedict Ficken vnd Jungfraw Elisabeth Hacken hochzeit: (Nr. 15). Während man die vorigen Verse noch als Plavius-Zitate erkennen konnte, könnte ohne den entsprechenden Hinweis Harsdörffers nur noch ein Plavius-Kenner den Bezug herauslesen18:

(Liebskrieg:)
15. R. Poeten können seyn Cornet / und Fähnleinführer
Der Musicanten Schaar die besten Officierer /
D. Der Hymen soll die Stück bestellen von Metall /
Cupido Mareschalck / und Venus General.
R. Die Wollust ist bestellt zur Musterschreiberin /
Der Neid ist der Profoß / wann ich mich recht besinn.
D. So musse man dann auch / ein Marckathänder haben /
Das könte Ceres seyn / der Troß die Bachusknaben.
R. Witwer sind Kürisser; die Witwen Pickenirer /
Die Freyer / Reuterey; Jungfrauen / Musquetierer.
D. Wann in der Werbung wir uns solten beyd bemühen /
So hofften wir gar bald sehr starck zu Feld zu ziehen.

In Sachen Sprachspielerei ist Plavius hier an den richtigen Mann gekommen. Ähnlich wie sich Plavius frech bei den Niederländern bedient, zieht auch Harsdörffer seinen Nutzen aus dem Danziger Dichter. Ob dem Magister das gefallen hätte, ist eine andere Frage. Harsdörffer schätzt Plavius aufgrund seiner Sprachspiele. Ganz teilen kann er dessen Dichtungsverständnis allerdings auch nicht.

Wenn Harsdörffer von Plavius zitiert, so ist das Ergebnis immer komisch, eben Spiel. Dabei gehen dann die moralisch-christlichen Elemente, aller Ernst, der bei Plavius eben auch vorkommt, z. B. In Form von Melancholie, verloren19:

(Fröhlichkeit:)
- v - v - v - v
Die Großmutter vieler Nöhten
Jst Melancholey genannt.
V. Manchen gar zu viel bekant /
D. Sonderlich den Hirnblöden /
Pflegt sie vielmals gar zu töden.
R. Aber diese Marterhand
Wird behaglich abgewandt /
Durch die Mahler und Poeten.
V. Darbey ist auch auserlesen
Seitenspiel und Moslerwein/
R. So kan Vieregrade seyn.
D. Wenn ich soll die Sach ermessen /
Schickt sich darzu gutes Essen:
Und nechst einem Liedelein /
Steht auch kluges Schertzen sein /
J. So ist Trawren zu vergessen!

Doch wäre es wohl auch zuviel verlangt, ein Dichter wie Harsdörffer solle in seinen Werken aus Plavius zitieren wie aus der Bibel. Allerdings setzte mit Harsdörffer die Tendenz ein, in Plavius einen oberflächlichen Versleinmacher zu sehen, ihn seiner inhaltlichen Tiefe gänzlich zu berauben.

Wie es scheint, hat jedenfalls nach ihm kein Dichter mehr Plavius in seinen drei Grundaspekten (Liebe- Tod - Tugend) gesehen. Plavius wurde mehr und mehr verzerrt, und schließlich ganz vergessen. Ausblick >>


1Zitiert nach Stekelenburg, S. 53, Anm. 43.

2Vgl. Sartor, S. 48-57.

3 Zetzkius kam aber auch erst 1629 nach Danzig. Vgl. Rankl, S. 165.

4Zur Genese der sapphischen Odenform aus Ronsards "Vers Sapphiques" (Odes, 5. Buch, 1585) bis zu Zesen äussert sich Stekelenburg, S. 87f.

5So Szyrocki, vgl: Szyrocki, M., Der junge Gryphius, Berlin 1959.

6Zitiert nach Mannack, S. 299.

7Vgl. ebd, S. 299f.

8Vgl. das Trochaicum auf Catharina Bilgram.

9Vgl. Stekelenburg, S. 53, Anm. 47.

10Überhaupt zeigt sich Homburg als sehr belesener Dichter, die von ihm benutzten Quellen umfassen neben den Niederländern auch viele bekannte deutsche und französische Namen.

11Angaben nach Crone, S. 18.

12Ebd., S. 18f.

13Ebd., S. 19f.

14Vgl. ebd, S. 33f.

15Sartor (S. 59) behauptet, Harsdörffer zitiere ein Gedicht. Tatsächlich sind es mindestens drei.

16Harsdörffer, Frauenzimmergesprächsspiele II, S. 259f.

17Ebd., S. 263.

18Ebd.

19 Vgl. ebd., S. 261f. Vorlage hierfür war wohl das Sonett Einem Maler ins Stammbuch (Treugedichte, Nr. 44.1)