Ausblick

1. Ausblick

Weder das Thema M. Johannes Plavius selbst, noch seine Treugedichte, seine Trawr=gedichte oder sein Zyklus Lehr=Sonnete konnten in dieser Arbeit erschöpfend behandelt werden. Schon gar nicht konnte auf alle intertextuellen Bezüge eingegangen werden, die sich in seinem Werk finden lassen.

Solange sich keine neuen Quellen-Befunde zu seiner Person ergeben, dürfte der Dichter aus Danzig der Literaturwissenschaft noch für lange Zeit manches Rätsel aufgeben; um einfach über ihn hinwegzusehen, hat er quantitativ aber auch qualitativ zuviel hinterlassen. Gerade die neuen Textfunde aus Riga werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten können1: Sind die Trauer- und Treugedichte jemals als solche erschienen, wenigstens in Einzelteilen? Die Bedeutung dieser Frage schon für die literarische Nachwirkung ist nicht abzuschätzen! - Falls das Sammelwerk des Plavius als solches nicht zustande kam, warum nicht? Was ist nach 1630 aus Plavius überhaupt geworden? Warum endete der für seine "Kling-Gedichte" so gerühmte Dichter schließlich so sang- und klanglos im Nebel des Vergessens?

Ob wir auf diese Fragen jemals Antworten erhalten werden, ist ungewiss. Sehr viel besser sieht es schon mit all jenen Fragen aus, die sich vielleicht einfach durch weitere literaturwissenschaftliche Untersuchungen beantworten lassen. Waren frühere Philologen daran interessiert, das Deutschtum der Danziger besonders herauszustreichen, so sind es nun die intertextuellen Beziehungen, die ins Ausland verweisen. Gerade seine Internationalität macht Plavius für die heutige Literaturwissenschaft interessant.

Fruchtbar wäre sicherlich, die motivliche Genese der Trauer- und Treugedichte aus der literarischen Tradition des Humanismus, des Petrarkismus und Antipetrarkismus bis hin zu Opitz zu untersuchen. Dies setzt voraus, dass die Lesekultur und das Rezeptionsverhalten der Danziger Bürgerschaft um 1630 genauer untersucht werden.

Ein großer Stellenwert kommt den Beziehungen zwischen Dichtern und Gelehrten untereinander zu. Nur so ließe sich beispielsweise klären, wie Plavius zu seinen Quellen und Vorbildern gekommen ist, und warum er gerade sie, und nicht andere gewählt hat. Bei Plavius müsste man den Fokus auf Johannes Mochinger, Peter Crüger und Simon Van Beaumont legen.

Eine Durchsicht der Briefe Mochingers, Crügers und Beaumonts - so sie noch vorhanden sind - könnte möglicherweise das Beziehungsgeflecht um den Danziger Gelehrten, und damit nicht zuletzt den Wirkungsraum eines Plavius offenbaren. Will man einen Danziger Dichterkreis vor Opitz annehmen, so ist sein gesellschaftlicher Mittelpunkt nicht in Plavius, sondern vor allem entweder in Peter Crüger oder in Johannes Mochinger zu suchen und zu finden. Auch die Buchbestände, welche die Danziger Stadtbibliothek im Laufe der Zeit von den Familien bezog, für die Plavius dichtete, könnten Anhaltspunkte geben.

Um die intertextuelle Struktur der Trauer- und Treugedichte zu durchdringen, böte es sich an, zunächst Vergleiche zwischen diesem und ähnlichen Texten durchzuführen. Dazu wäre es auf der einen Seite notwendig, die Abhängigkeit des Plavius von Vorbildern bzw. Oppositionen wie Heinsius, Cats, Starter, Beaumont und Opitz im Textvergleich synoptisch heraus zu arbeiten. Nur durch eine entsprechende Untersuchung ließe sich klären, inwiefern spätere Schriftsteller wie Michael Albinus oder Andreas Gryphius mit den Lehrsonnetten textuell interagieren oder ob sie nur die gleichen Quellen haben, aus denen sie gemeinsam schöpfen.

Es ist zu bezweifeln, dass sich viele Philologen in eine solch mühsame Arbeit stürzen werden. Der Umfang einer solchen Untersuchung wäre beachtlich, denn es sind noch immer nicht alle Quellen bekannt, aus denen Plavius geschöpft hat. Als weitere Vorbilder kämen noch viele Dichter in Frage, der Kreis der Verdächtigen muss durch historische Kriterien beschränkt werden. Nicht zu vergessen ist dabei, dass es den Vorbildern des Plavius zum größten Teil nicht besser ergangen ist als ihm selbst. Abgesehen von den großen Niederländischen Werken sind viele mögliche Vorlagen nicht mehr zugänglich oder ganz verschollen.

Darum ist eine Sichtung, Katalogisierung und Gliederung der vorhandenen Archivbestände notwendig und gefordert. Auch Literatur, die nicht zum Kanon gehört, ist Teil des kulturellen Erbes, und verdient Aufmerksamkeit2.

Die Literaturwissenschaft der Zukunft ist hier vor eine große Aufgabe gestellt. Geduld und Ausdauer sind Tugenden, die nicht nur in den Lehrsonnetten gefordert werden. Tabellarischer Anhang >>


1Wie kamen die Lehr=Sonnete nach Riga? Hatte etwa Samsonius oder einer seiner Nachfahren Beziehungen zum Danziger Dichter selbst? Oder hatte hier wieder einmal mehr der äußerst kommunikative Mochinger seine Hände mit im Spiel?

2In diesem Sinne schliesse ich mich Joseph Leightons Resümee an: "Zu den Aufgaben der Germanistik gehörte es darum, dieses kulturelle Erbe der Barockzeit zunächst systematisch zu ordnen und dann wissenschaftlich auszuwerten. Besonders wünschenswert wären gute Kataloge der wichtigsten Sammlungen [...] Heute dürfen wir uns nicht mehr von der Masse abschrecken lassen; die elektronische Datenverarbeitung hat Methoden entwickelt, die die Verwirklichung solcher Aufgaben in den Bereich der Möglichkeit rücken.", Leighton, S. 548